DEKARBONISIERUNG SO SCHNELL WIE MÖGLICH

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Die politischen Vorgaben sind gesetzt: Die Bundesregierung hat das Ziel der Treibhausgasneutralität bis zum Jahr 2045 festgeschrieben. Der Zeitrahmen ist anspruchsvoll. Die Herausforderungen für die Energiewirtschaft sind gewaltig. Bereits bis 2030 soll die Hälfte der Wärme klimaneutral erzeugt werden. Bestehende Versorgungsstrukturen müssen auf den Prüfstand gestellt werden. Vor allem aber gilt es, eine Strategie für die Dekarbonisierung zu entwickeln. Wie diese im Fall der GGEW AG ausschaut und wie der aktuelle Stand der Dinge ist, darüber haben wir uns mit Uwe Sänger und Frank Kaus unterhalten.
Dekarbonisiert unsere Netze: Grünstrom.

Energieversorgungsunternehmen, zumal wenn sie wie die GGEW AG in kommunaler Hand sind, leisten einen wesentlichen Beitrag zur Daseinsvorsorge. Sie sind es, die auch die Klimavorgaben umsetzen müssen. Damit geht eine Transformation des Versorgungssystems einher, die umfassende Auswirkungen hat auf Geschäftsfelder und Infrastrukturen. Nicht nur im Hinblick auf die Versorgung der Kundinnen und Kunden mit Wärme, sprich: Erdgas zur Wärmeerzeugung. Sondern auch, was das Stromversorgungssystem anbelangt.

Vorausplanung statt Blindflug

Um was geht es ganz konkret bei dem GGEW-Projekt mit dem etwas sperrigen Namen Dekarbonisierungsstrategie? Ziel des Projekts ist es, eine konkrete, individuelle Umgestaltung der Energieinfrastruktur für die GGEW und damit unsere Region zu entwickeln. Sie soll maßgeblich sein für den Transformationsprozess und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Unternehmens erhalten. Es geht darum, die wirtschaftlichsten und zukunftsfähigsten Versorgungskonzepte zu entwickeln, mit denen sich die Vorgaben erfüllen lassen, um bis zum Jahr 2045 klimaneutral zu werden. Das kann von der Verstärkung elektrischer Leitungen über Umwidmung und Weiterentwicklung bestehender Gasleitungen bis zum Aufbau von Wärmenetzclustern reichen. Darüber hinaus werden alle erneuerbaren Potenziale vor Ort untersucht und bewertet, um diese in die Dekarbonisierungsstrategie einzubinden. Relevante Aspekte der erarbeiteten Ergebnisse werden in die kommunale Wärmeplanung einfließen. Die GGEW erhält durch diese Strategieentwicklung eine sichere Planungsgrundlage für strategische Ableitungen zukünftiger Geschäftsfelder und wirtschaftlich interessanter Areale.

Daten, Daten, Daten

Im ersten Schritt gilt es, einen digitalen Zwilling der aktuellen Versorgungsstruktur zu erstellen. Verbunden mit einer Strom- und Wärmebedarfsprognose für alle Sektoren, einschließlich der EE-Potenziale und der Bestandsanlagen im Versorgungsgebiet der GGEW. Die Datengenerierung hierfür läuft derzeit in Zusammenarbeit mit einem darauf spezialisierten externen Dienstleister und einem klar definierten Ziel. O-Ton Frank Kaus, Bereichsleiter für Konzessions- und Kommunalmanagement und Projektleiter für die Strategieentwicklung zur Dekarbonisierung: „Das darf kein Blindflug werden. Weder für uns noch für die Kommunen. Deshalb benötigen wir ein leistungsfähiges Analysemodell mit Angaben zu aktuellen und zukünftigen Bedarfen und Einspeiseleistungen. Damit können wir dann alle denkbaren Konstellationen durchspielen mit dem Ziel, am Schluss drei Szenarien zu haben. Ganz klassisch: ein Best-Case-, ein Normal-Case- und ein WorstCase-Szenario. Alle drei werden sehr konkret sein und mit einem Preisschild versehen die künftigen Investitionsbedarfe und Entwicklungen der Eigenkapitalstruktur darstellen.“ Diese Phase wird bis zum Herbst 2024 abgeschlossen sein.

Zeit und Geld und Ressourcen

Wie auch immer die Szenarien aussehen werden, eines ist klar: Sie sind nicht zum Nulltarif umzusetzen. Anders gesagt: Um die ambitionierten Dekarbonisierungsziele umzusetzen, sind über viele Jahre gewaltige Investitionen zu stemmen. Woraus sich die Frage ergibt, wie das alles finanziert werden soll. Frank Kaus ist überzeugt davon, dass das machbar ist. Allerdings nicht ausschließlich aus Fördertöpfen des Bundes. Die können nur zur Absicherung dienen. „Wir brauchen Privatkapital für diese gewaltige Aufgabe. Das ist durchaus vorhanden, bedeutet aber, dass Investoren eine vernünftige Verzinsung ihres Kapitals erwarten werden.“ Bei den notwendigen Baumaßnahmen hingegen sieht Kaus eher die Gefahr eines Engpasses: „Die Aufgaben, die auf die GGEW, auf Unternehmen im Tiefbau, Rohrbau, Leitungsbau und im Oberflächenbau zukommen, sind gewaltig. Da muss in großem Maßstab Personal aufgestockt werden, um die absehbaren Aufträge abarbeiten zu können.“ Darüber hinaus gibt es natürlich noch weitere Unwägbarkeiten, die einfach dem sehr langen Zeitraum geschuldet sind, den die Dekarbonisierung benötigt. Darauf nimmt Uwe Sänger Bezug, Mitglied des Lenkungsausschusses der GGEW AG, wenn er sagt: „Kein Mensch kann heute sagen, was in der nächsten Dekade noch alles passieren wird und Einfluss nimmt auf solche Entscheidungen. Gute Planung ist existenziell, gerade bei einem Projekt mit einem derartigen Anspruch.“

Zeitdruck auch für die Kommunen

Das große Thema CO2-Neutralität und wie die Bürgerinnen und Bürger in Zukunft mit Wärme versorgt werden sollen, liegt auch bei den Kommunen auf dem Tisch. Sie sind seitens des Bundes und der Länder aufgefordert, bis zum 30. Juni 2028 zu verabschieden, wie die kommunale Wärmeplanung umzusetzen ist. Wo Nah- oder Fernwärmenetze Sinn ergeben, wo letztendlich Wasserstoffnetze entstehen und ob Wasserstoff überhaupt für die Wärmeversorgung eingesetzt werden soll. Mehr noch: wie die Stromnetze ertüchtigt werden können, damit man Wärmepumpen einsetzen kann, sowohl bei Neubauten als auch im Bestand. Gerade hier, davon sind Kaus und Sänger überzeugt, liegt eine wichtige Aufgabe der zukünftigen Dekarbonisierungsstrategie der GGEW AG. Sie liefert nicht nur dem regionalen Energieversorger eine fundierte Planungsbasis. Sie gibt auch den Kommunen wertvollen Input für ihre Entscheidungsfindung. Nicht zuletzt, was die Wirtschaftlichkeit und Finanzierbarkeit der notwendigen Maßnahmen angeht. Frank Kaus hat da klare Vorstellungen: „Wir wollen mit den Städten zusammen das Thema kommunale Wärmeplanung bedienen und haben vor, in Heppenheim, Bensheim, Lorsch, Bürstadt und Lampertheim zu starten. Mit rund 133.000 Einwohnern sind diese fünf Kommunen groß genug, ein machbares Szenario für die Dekarbonisierungsstrategie zu liefern und damit konkreten Input für die kommunale Wärmeplanung. Der steigende Anteil von dezentralen Erzeugungsanlagen macht sich auch im Stromnetz bemerkbar. Diese Entwicklung berücksichtigen wir ebenso in der Strategie.“ Soviel ist klar: Das Jahrhundertprojekt Dekarbonisierung wird Unternehmen und Kommunen alles abverlangen.